Vorwarnung: Dieser Artikel stellt die Meinung des Autors dar und kann Polemik enthalten.
Zugegeben: Es macht als Rechtsanwalt durchaus Spaß, sich über die theoretischen Möglichkeiten der Verbindung zwischen Rechtsanspruch und Token auf einem Blockchain-Netzwerk den Kopf zu zerbrechen. Es ist aber ein letztlich fruchtloses Unterfangen, das Rechtsberater, Finanzdienstleister, Aufsichtsbehörden und Gesetzgeber über Gebühr strapaziert haben.
Der Vertrieb von traditionellen Finanzprodukten unter dem Marketing der "Tokenisierung mittels Blockchain-Technologie" ist ein Scam. Aber natürlich handelt es sich dabei nicht um strafrechtlich relevanten Betrug. Zumindest meistens nicht.
Aber der Reihe nach. Worum geht es?
Und warum ist es ein Scam?
Das Schlagwort
Es ist hier natürlich nicht die Tokenisierung in der Datensicherheit oder in lexikalischer Grammatik gemeint. Ebenfalls nicht gemeint ist die Tokenisierung von blockchain-nativen Assets wie etwa die Darstellung von Ether als ERC20-Token, die Darstellung der Lending- oder Liquidity Provider-Position bei dezentralen Finanzanwendungen. In diesen Fällen besteht eine rein technische Verbindung zwischen Token und Asset (meist ebenfalls ein Token).
Es geht im Folgenden vielmehr um die Tokenisierung von Wirtschaftsgütern und Finanzprodukten, die im Kontrast zu rein digitalen Assets oftmals auch als "Real World Assets" (kurz "RWA") bezeichnet werden (vgl. etwa hier oder hier). Bei den dadurch entstehenden Token handelt es sich regelmäßig um sogenannte Security Token (vgl. BaFin Fachartikel "Tokenisierung").
In einem Wikipedia Eintrag wird die Tokenisierung in diesem Zusammenhang etwa wie folgt definiert:
"Tokenisierung ist im Finanzwesen und im Wertpapierrecht der Trend, Finanzprodukte als Kryptowerte zu digitalisieren und auf einer Blockchain als dezentral gespeicherte Vermögenswerte abzubilden."
Diese Definition ist zwar sehr verkürzt und lässt viele Fragen offen, soll aber exemplarisch für das Marketing rund um die in diesem Artikel kritisierte Tokenisierung stehen. Es ist ein missliches Marketing, das von Beratungsunternehmen, Banken, Think-Tanks und Presse fleißig repliziert wird (vgl. etwa auch SZ im November 2020, FAZ im Januar 2021, NZZ im Juli 2021, Börsen-Zeitung im Oktober 2021).
Aber was genau ist jetzt bei der Tokenisierung das Problem? Dazu muss zunächst ein Blick auf die Technologie geworfen werden, die die Fantasie der genannten Finanzmarktakteure dermaßen angeregt hat.
Die Technologie
Blockchain-Netzwerke im bekanntesten Sinne – also Open-Source, dezentrale, öffentliche Peer-to-Peer-Netzwerke wie Bitcoin und Ethereum – gehören zu den langsamsten und ineffizientesten Netzwerktechnologien. Da ihre Netzwerkknoten nach Belieben kommen und gehen können, sich aber dennoch der überwiegende Teil der angebundenen Netzwerkknoten zu jeder Zeit über den Zustand des Netzwerks einig sein müssen, benötigen sie besondere Mechanismen zur „byzantinischen Fehlertoleranz“ und „Sybil-Resistenz“.
Diese Mechanismen ließen sich am einfachsten über eine zentralisierte Struktur einrichten. Die dezentrale Einrichtung dieser Mechanismen verursacht hingegen erhebliche Nachteile in der Geschwindigkeit und Skalierbarkeit des Netzwerks. Es handelt sich um einen Trade-Off, also um die Entscheidung für bestimmte Eigenschaften unter Einbuße bestimmter anderer Eigenschaften, die kumulativ nach derzeitigem Stand der Technik nicht erreichbar sind. Dieser Trade-Off wird in idealtypischen Blockchain-Netzwerken gemeinhin zugunsten der Dezentralität und gegen Geschwindigkeit und Effizienz ausgestaltet. Diese Entscheidung zugunsten der Dezentralität dient wiederum nur zu einem einzigen Zweck: technische Zensurresistenz.
Zensurresistenz ist der herausragende Raison d'Être von Blockchain-Netzwerken (vgl. etwa Vitalik Buterin, 2019, Vlad Zamfir, 2017, Gregory Rocco, 2019 oder Brady Dale, 2021). Während technische Zensurresistenz sicherlich für sich genommen keine Tugend ist (vgl. Anuj Das Gupta, 2021) hat sie insbesondere im Angesicht autokratischer Unterdrückung (vgl. etwa Slate, "Iran Aims to End Online Freedoms “for Good”", 2021) durchaus ihre Daseinsberechtigung.
Ein weiteres Wertversprechen der Blockchain-Infrastruktur, das neben der Zensurresistenz einer gesonderten Nennung würdig wäre, ist die Möglichkeit der Eigenverwahrung (vgl. Gabriel Shapiro, 2018), wobei diese möglicherweise - wie etwa die oft zitierten Merkmale der Transparenz und der Manipulationssicherheit - ebenfalls nur ein Mittel zum Zweck der technischen Zensurresistenz ist.
Jedenfalls stellen diese Eigenschaften der beschriebenen idealtypischen Blockchain-Netzwerke ganz besondere Anforderungen an die in Form der Token auf diesem Netzwerk befindlichen Assets. Sie müssen der dezentralen, zensurresistenten, digitalen neuen Welt standhalten. Dazu jedoch zum Abschluss dieses Artikels mehr.
Kommen wir zunächst zurück zur Tokenisierung.
Der Scam
Die Tokenisierung von sogenannten "Real World Assets" und herkömmlichen Finanzprodukten ist mit technischer Zensurresistenz nicht kompatibel, da die Verbindung des Assets mit dem Token notwendigerweise eine rechtliche Verbindung ist. Das Recht kann den Zustand des Netzwerks daher jederzeit für ungültig erklären. Eine technische Zensurresistenz ist nicht erreichbar und schon gar nicht wünschenswert. Es besteht eine rein rechtsstaatliche Zensurresistenz. Diese bedarf wiederum keiner Dezentralität der IT-Infrastruktur. Eine digitale Darstellung der Assets lässt sich daher viel effizienter und sinnvoller gestalten als durch Tokenisierung auf einer öffentlichen Blockchain.
Die Befürworter von derartigen tokenisierten Finanzprodukten schreiben sich gleichwohl auf die Fahnen (und Landing-Pages), durch die Nutzung von Blockchain-Technologie irgendeinen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Finanzprodukten zu generieren. Dabei verkennen sie bewusst oder unbewusst, welchen Nutzen die beschworene Technologie eigentlich bringt und welche Probleme sie löst. Das Wertversprechen von Blockchain & Krypto wird also unter falschen Prämissen gekapert. Dies führt, freundlich ausgedrückt, zu Missverständnissen und Verwirrung.
Die Nutzung von Blockchain-Technologie wird von Tokenisierungsaposteln oft als Garant für "Fälschungssicherheit", "Transparenz", "Demokratisierung" sowie als Mittel zur Ermöglichung der "Automatisierung" identifiziert. All diese Eigenschaften ließen sich jedoch durch bloße Open-Source Software mit offenen Schnittstellen, die von einer regulierten Entität betrieben wird, darstellen. Wenn man denn die propagierten Ziele wirklich erreichen wollte.
Die Tokenisierung von Finanzprodukten bedarf damit keiner Blockchain. Ihre Nutzung für herkömmliche Finanzanwendungen ist schlicht der falsche Weg und behindert damit vielmehr die Erreichung von "Fälschungssicherheit", "Transparenz" und "Demokratisierung" im Finanzmarkt. Das zu verfolgende Ziel ist eigentlich nichts weiter als die fortschreitende Digitalisierung und internationale Standardisierung und Öffnung der Infrastruktur im Wertpapiervertrieb und -handel. Nicht jedoch die Tokenisierung auf öffentlichen Blockchain-Netzwerken.
Besonders fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang die oftmals für Tokenisierungsprojekte gewählte Marketing-Kommunikation, wonach den tokenisierten Finanzprodukten eine moralische Überlegenheit zu herkömmlich vertriebenen Finanzprodukten innewohne. Abgesehen davon, dass eine Moralisierung des Finanzkonsums derzeit sicherlich ein gesellschaftlicher Trend ist, der stets schwer begründbar und oftmals haltlos ist, erscheint es besonders merkwürdig, im Zuge der hier kritisierten Art der Tokenisierung von "Dezentralität", "Demokratisierung", "Transparenz" und "Fälschungssicherheit" zu sprechen. Verschleiern doch viele derartige Projekte zugleich mit erheblichem Aufwand ihre Natur als Vertrieb ganz normaler Finanzprodukte, bloß verbunden mit dem teuren Werbe-Gag eines Blockchain-Tokens, bis an die Grenze des finanzregulatorisch Möglichen. Dies zudem oftmals im Bereich der Vermarktung von Kleinst-Investitionen, die sich gezielt bei Verbrauchern mit oft eher geringem Investitionskapital und minimaler Verlusttoleranz mit risikoreichen, exotischen Anlagen anbiedern.
Fazit: Die Tokenisierung ist ein Scam.
Der Irrweg
Auch in der Gesetzgebung wird ersichtlich, dass der Scam namens Tokenisierung die Erreichung der propagierten Ziele, etwa von Transparenz und Demokratisierung des Finanzmarktes, eher behindert als befördert.
Bisher erfolgt die digitale Abwicklung von Wertpapieren in Deutschland durch die Hinterlegung von Papierurkunden über deren anteiliges Besitzrecht der Inhaber durch entsprechend regulierte Verwahrer digitale Konten geführt werden. Die vollständige Digitalisierung dieses Prozesses, auch rechtstechnisch - sprich: die Abschaffung der Notwendigkeit einer in einem Tresor zu hinterlegenden Urkunde - ist jedoch rechtlich und wirtschaftlich so uninteressant wie banal. Sie bedurfte einer Gesetzesänderung. Nichts weiter. Diese ist nun in Form des Gesetzes über elektronische Wertpapiere (kurz: "eWpG") erfolgt.
Wie der Deutsche Anwaltverein im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des eWPG in einer Stellungnahme bereits zutreffend hervorgehoben hat, ist durch die EU-Verordnung über Zentralverwahrer das vollständig dematerialisierte Wertpapiere mit immobilisierten physischen Wertpapieren auf EU-Ebene bereits gleichgestellt und die nationalen Verwahrmärkte dem Wettbewerb durch europäische Zentralverwahrer geöffnet (siehe Art. 23 CSDR und § 1 Abs. 3 DepotG).
Es bedurfte also zu dieser Dematerialisierung der Wertpapiere auch in Deutschland keiner frei zugänglichen, zensurresistenten Blockchain-Infrastruktur. Genauer: Der Wertpapiermarkt kann diese Infrastruktur nicht in sinnvoller Weise nutzen. So sprach sich der DAV in der vorgenannten Stellungnahme auch richtigerweise grundlegend gegen das "Blockchain-Wertpapier" aus:
"Es spricht daher viel dafür, es gerade auch für Zwecke des Erwerbs von elektronischen Wertpapieren bei der Zwischenschaltung von Intermediären zu belassen."
Diese Bedenken teilte der Deutsche Gesetzgeber offenbar. Jedoch strich er das "Kryptowertpapier" (ja, das heißt wirklich so) inkonsequenterweise nicht aus dem Gesetzestext. Er führte es stattdessen in einer Form ein, die einer "registerführende Stelle" bedarf. Dies ist aus den seitens des DAV zitierten Gründen vollkommen nachvollziehbar, macht jedoch den Begriff Kryptowertpapier zu einem Oxymoron. Es spukt noch als leere, sinnlose Hülle im eWpG herum.
Aus irgendwelchen Gründen hat sich die Tokenisierung schon seit einigen Jahren unter den beschriebenen falschen Prämissen als Trittbrettfahrer auf dem Wertversprechen idealtypischer Blockchain-Infrastruktur von Kryptowährungen und Smart-Contract-Plattformen platziert und dort so hartnäckig gehalten, dass gar der Gesetzgeber beeindruckt schien. Der darin enthaltene Etikettenschwindel den nun auch der Gesetzgeber repliziert, ergibt sich jedoch beim Kryptowertpapier schon aus dem Etikett selbst und ist nur dadurch wiederum keiner. Kein Schwindel also, sondern bis auf Weiteres bloße Seichtigkeit und wohlmöglich ein erheblicher Anteil an Aktionismus, Fortschrittsfanatismus und Digitalisierungseifer.
Die rechtliche Verbindung zwischen Token und Asset und deren Durchsetzung unterliegt nunmal in erster Linie rechtlichen Mechanismen, die für die Wirksamkeit von Verfügungen über die Assets entscheidend sind. Diese rechtlichen Regelungen entstehen durch vertragliche Vereinbarung oder gestützt auf gesetzliche Anordnung. Es liegt jedoch in der Natur von Verträgen, dass sie nur zwischen ihren jeweiligen Vertragsparteien bindend sind. Zudem liegt es in der Natur von Gesetzen, dass sie auf ihre jeweilige Jurisdiktion beschränkt sind. Dies führt zu offensichtlichen Problemen bei der Tokenisierung. Während viele verschiedene vertragliche Vereinbarungen denkbar sind, die eine Synchronisation zwischen dem Recht an einem Token und dem Eigentum an dem ihm zugewiesenen Vermögenswert gewährleisten können, scheitert diese Synchronisation genau dann, wenn Transaktions- und Verkehrsschutz erforderlich sind, beispielsweise wenn eine unbefugte Person handelt. Gleiches gilt letztlich auch, wenn dieser Verkehrsschutz durch gesetzliche Fiktionen auf nationalstaatlicher Ebene rechtlich hergestellt wird. Die Gesetzgeber bedienen sich hierzu stets Intermediären, die zunächst über die Verbindung zwischen Asset, Token und Tokeninhaber - vor Eröffnung des Rechtswegs - entscheiden. Für das in Deutschland durch das Gesetz über elektronische Wertpapiere eingeführte "Kryptowertpapier" gibt es hierfür, wie erwähnt, die "registerführende Stelle". Beim Liechtensteinischen Token- und VT-Dienstleister-Gesetz werden verschiedene "VT-Dienstleister" eingeführt und im Schweizer Gesetz zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register soll "auch diese Aufgabe
primär von den Parteien übernommen oder mittels Vereinbarung an Dritte übertragen werden" (vgl. hier, Seite 243).
Ein idealtypisches Blockchain-Netzwerk ist daher auch in den gesetzlich verankerten und oben beschriebenen Anwendungsfällen überflüssig. Eine Zensurresistenz wird nicht technisch sondern ausschließlich rechtsstaatlich gewährleistet. Und das ist auch gut so.

Die Illiquidität
Die Tokenisierung wird oftmals auch mit dem Argument beworben, diese führe zu einer erhöhten Liquidität von anderenfalls illiquiden Assets. Die BaFin hat, völlig unstrittig, bereits in 2018 und 2019 betont, dass es sich bei tokenisierten schuldrechtlichen oder mitgliedschaftlichen Rechten um Wertpapiere im aufsichtsrechtlichen Sinne handelt. Dies gilt ohnehin für die neu eingeführten Kryptowertpapiere und dergleichen. Für den Handel von solchen übertragbaren Wertpapieren über geregelte Märkte, MTFs oder OTFs sieht die CSDR für die Emittenten dieser Wertpapiere die Pflicht vor, dafür Sorge zu tragen, dass diese Wertpapiere im Effektengiro eingebucht werden, vgl. Art. 3 Abs. 1 CSDR. Zudem sieht Art. 3 Abs. 2 CSDR vor, dass die entsprechenden Wertpapiere am oder vor dem vorgesehenen Abwicklungstag im Effektengiro bei einem Zentralverwahrer einzubuchen sind. Dies gilt laut Art. 76 Abs. 1 CSDR ab dem 1. Januar 2023 für übertragbare Wertpapiere, die nach diesem Zeitpunkt emittiert werden, und ab dem 1. Januar 2025 für alle übertragbaren Wertpapiere. Es handelt sich dabei also nicht um ein regulatorisches Relikt, sondern die regulatorische Gegenwart und absehbare Zukunft. Zu Recht wird daher festgestellt (vgl. Nägele, 2020):
"Die Pflicht zur Einbuchung von Wertpapieren im Effektengiro stellt die wohl größte Herausforderung dar, die auf den Sekundärmarkt von Security-Token zukommt".
Die Verpflichtung zum Effektengiro im professionellen Zweitmarkt korrespondiert mit der international durch die FATF vorangetriebenen weitestgehenden Abschaffung von Inhaberaktien, vgl. hierzu nur die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 10 AktG im Jahr 2016, dort ab Seite 15.
Zusammengefasst lässt sich also festhalten: Auch gesetzgeberische Initiativen zur Tokenisierung sind ein Irrweg. "Security-Token", tokenisierte "RWA" oder sonstige tokenisierte Finanzprodukte sind einer technischen Zensurresistenz nicht zugänglich. Die Ermöglichung ihrer Eigenverwahrung ist politisch nicht gewollt. Damit sind die beiden entscheidenden Wertversprechen von Blockchain-Technologie für diese Produkte nicht zugänglich und werden dies auf absehbare Zeit auch nicht sein.
Die Stablecoins
Zu betonen bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, dass es durchaus ein Asset gibt, dass in nennenswertem Umfang erfolgreich "tokenisiert" wurde: Der US-Dollar.
Privat herausgegebene US-Dollar Stablecoins haben heute eine Marktkapitalisierung von $150 Milliarden (vgl. Coingecko). Soweit diese von einer zentralen Stelle ausgegeben werden, fehlt es natürlich auch hier an der beschriebenen technischen Zensurresistenz. Jedoch steht diese Entwicklung der Stablecoins historisch in einem ganz anderen Zusammenhang als die Tokenisierung von Finanzprodukten (vgl. Nic Carter, 2021). Zudem scheint die Möglichkeit der Eigenverwahrung die Nutzer derart zu überzeugen, dass zentralisiert herausgegebene Stablecoins ein beachtliches Handelsvolumen umsetzen. Dies übersteigt indes das Volumen von dezentralen, algorithmischen Stablecoins um ein vielfaches.
Stablecoins und deren private Emission bleiben jedoch vor allem ein US-Phänomen. In den USA scheint die Nachfrage anderer Fintech-Lösungen im Zahlungsverkehr ebenfalls am Größten zu sein (vgl. Paypal, Cashapp, Venmo und dergleichen). Die EU-Regulierung rund um das Thema e-Geld und die bevorstehende Regulierung für e-Geld-Token in der MiCA-VO wirkt bisher weitestgehend prohibitiv für EU-ansässige Herausgeber von Stablecoins. Auch in den USA ist indes die Debatte um die Regulierung von Stablecoins in vollem Gange.
Die 'rechtslosen' Token
Die neben Stablecoins erfolgreichsten Token kommen ganz ohne Gesetze und Verträge und mithin ohne Rechtsansprüche gegen einen Emittenten aus. Bitcoin hat es vorgemacht. Weitere native Token der jeweiligen Blockchain-Netzwerke wie Ethereum sind ebenfalls zu nennen.
Hinzu kommen Phänomene wie Utility Token und Governance Token. Den jeweiligen Inhabern kommt es nicht auf rechtliche Ansprüche an, die ihnen der Token vermittelt oder auch nicht. Die Token haben oftmals überhaupt keinen unmittelbar identifizierbaren Herausgeber, der als Anspruchsgegner herhalten könnte. Die Token sind vielmehr der monetarisierte Netzwerkeffekt (vgl. Hasu, 2020) einer Open Source Software.
Das gleiche Prinzip des "Tokens ohne Rechtsanspruch" lässt sich auch auf die derzeit sehr populären Non-Fungible-Tokens (NFT) übertragen, die momentan hauptsächlich in den Bereichen Kunst und Medien eingesetzt werden. Hier scheinen sich ebenfalls solche Token-Modelle durchzusetzen, die nicht mit einer mehr oder weniger eingeschränkten Urheberlizenz einhergehen, also eine "tokenisierte Lizenz" darstellen wollen. Vielmehr setzen sich vemehrt solche Projekte durch, bei denen die Initiatoren - ganz im Geiste des Open Source-Gedankens - das referenzierte urheberrechtliche Werk in der "Public Domain" veröffentlichen, also gewissermaßen gemeinfrei stellen (vgl. The Defiant, "Bored Apes Generous Copyright Approach Besting Stricter CryptoPunks", 2021, Chris Dixon, 2022, Jacob Horne, 2021).
Ein fehlender primärer Rechtsanspruch aus dem Token bedeutet indes natürlich nicht, dass die Assets und ihre Inhaberschaft außerhalb des Rechtssystems stünden. Sie unterliegen beispielsweise dem Steuerrecht, dem Recht der Finanzdienstleistungen sowie dem Recht der Geldwäschebekämpfung. Diese Token bedürfen zur Vereinnahmung oder Wahrung ihres Wertes bloß keiner rechtsstaatlichen Durchsetzung. Das macht sie zu einer Assetklasse mit ganz eigenem Risikoprofil, das sicher nicht jedermans Sache ist. Es macht sie aber in jedem Fall international und befähigt sie, in der neuen digitalen Welt, die Metaverse, Web 3.0 oder Cyberspace heißen mag, zu bestehen. Security Tokens und sonstige tokenisierte RWA sind damit schlicht nicht kompatibel und daher im Zusammenhang mit idealtypischer Blockchain-Infrastruktur und dezentralen Finanzanwendungen bis auf Weiteres zu verwerfen.